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Tafeln mit kognitiven Vorteilen

  • Autorenbild: Hoiko Sültemeier
    Hoiko Sültemeier
  • 2. Okt.
  • 5 Min. Lesezeit

Hier kommt dein neuer Blogartikel – diesmal mit Schwerpunkt auf das homo sapiens Gehirn, Arbeitsverhalten und die (Wieder-)Liebe zur Tafel:

Warum Tafeln & Whiteboards nicht nur nostalgisch sind – sondern kognitiv sinnvoll

Wenn wir an das klassische Bild eines leuchtend weißen Whiteboards oder einer grünen Tafel denken, mag das zunächst altmodisch wirken in einer Welt mit Touchscreens, Tablets und digitalen Kollaborationstools. Aber gerade das „analoge Schreiben im Raum“ hat nach neueren neurowissenschaftlichen und psychologischen Befunden Vorteile, die digitale Tools oft (noch) nicht voll einfangen.

Gehirn-Mechanismen beim Schreiben vs. Tippen

  1. Mehr Vernetzung, mehr Aktivität Eine EEG-Studie zeigte, dass beim Handschreiben mehr Gehirnregionen miteinander kommunizieren als beim Tippen auf der Tastatur. (Frontiers)Anders formuliert: Der präzise, motorische Akt des Buchstabenzeichnens aktiviert Sinnes-, Bewegungs- und Sprachareale gleichzeitig – das fördert das Kodieren von Informationen. (Frontiers)

  2. Tiefere Verarbeitung & paraphrasierendes Notieren Beim Handschreiben neigen Menschen eher dazu, den Stoff in eigenen Worten zusammenzufassen – statt ihn wortwörtlich abzutippen. Das aktiviert Vorwissen, Reflexion und semantische Verbindungen – und das wiederum fördert das Gedächtnis. (The Learning Scientists)Eine Übersichtsarbeit zeigt: Handschreiben verbessert Gedächtnisleistung und Verständnis gegenüber reinem Tippen. (PMC)

  3. Motorische Gedächtnisanteile & Muskelgedächtnis Wenn wir mit dem Arm zur Tafel greifen, große Gesten machen, uns physisch im Raum bewegen, dann nutzen wir die motorische Komponente des Gedächtnisses – das „Muskelgedächtnis“. Solche Bewegungen können helfen, Inhalte räumlich und verkörpert abzuspeichern. (Verwandt mit dem Konzept des „Embodied Cognition“).

  4. Kognitives „Chunking“ im Raum Beim Arbeiten mit einer Tafel benutzen wir oft räumliche Gruppierungen: links unten ein Thema, rechts oben Ergänzungen, Pfeile, Verbindungslinien – das ist räumliches Chunking mit visueller Organisation im Raum. Das Gehirn liebt solche Ordnungsraster, um Inhalte zu strukturieren und später besser abzurufen.

  5. Visuelle Rückkopplung, Spurensicht & Perspektive Etwas an der Tafel zu sehen – etwa deine eigenen Handschriftspuren, Korrekturen, Spuren von Radierungen – erzeugt auch visuelle Feedbackschleifen, die das Erinnern verstärken. Mehrere Studien zeigen: Was wir sehen und manipulieren, bleibt länger im Arbeitsgedächtnis haften.

Die Tafel als Hybridfläche: Schreiben + Projektion & Co.

Ein cleverer Zwischenschritt sind hybride Tafeln — analoge Tafeloberflächen, über die man projiziert, digital ergänzt oder Inhalte speichert („Annotate & Capture“). Einige Forschungsprojekte aus dem Designbereich experimentieren damit:

  • Ein System, das eine klassische Blackboard-Oberfläche digital ergänzt, erlaubt Echtzeit-Projektionen und Markierungen, aber bleibt analog bedienbar. (arXiv)

  • Solche Tools kombinieren das expressive Potenzial von Handschrift mit der Flexibilität digitaler Werkzeuge.

In einem solchen Setting kann man noch live mit Hand schreiben (z. B. Skizzen, Formeln, Pfeile), aber gleichzeitig digitale Inhalte (Bilder, Folien, digitale Grafiken) einblenden und annotieren — eine Brücke zwischen analogem Denken und digitaler Unterstützung.

Vorteile gegenüber rein digitalem Schreiben (Screen / Tablet / Tastatur)

Vorteil

Warum relevant

Praktischer Effekt im Büro-/Meetingkontext

Langsamkeit + Reflexion

Handschrift zwingt zu etwas mehr Nachdenken (nicht einfach tippen)

Qualität statt Quantität – klarere Gedanken, weniger „flache“ Notizen

Kommunikation & Präsenz

Andere sehen dich an der Tafel, du interagierst räumlich

Gruppenarbeit, Diskussion, spontanes Skizzieren wird intuitiver

Räumliche Strukturierung

Texte, Skizzen, Verbindungen im Raum sichtbar ordnen

Gedankliche Struktur bleibt für alle sichtbar

Aufmerksamkeit & Fokussierung

Bildschirm lenkt ab; Tafel dient als zentraler Fokus

Bessere Konzentration auf Kernpunkte

Geringere Abhängigkeit von Geräte-Limitierungen

Kein Warten auf Apps, kein Ruckeln

Robust auch bei technischen Problemen

Zwar haben digitale Tools Vorteile wie Kopierbarkeit, Teilen, Korrekturmöglichkeiten – aber oft verbergen sich dort auch Ablenkung, Multitasking und Fragmentierung des Denkprozesses.

Zurück zur Tafel? Fälle aus Europa

Während viele Schulen und Büros stark digitalisieren, gibt es vereinzelte Fälle, wo ein „Retro-Schwenk“ oder zumindest eine Mischung wieder Tendenz gewinnt:

  • In einigen Design- und Architekturfakultäten wird bewusst wieder mit klassischen Tafeln und Kreide gearbeitet, weil Studierende die expressiven Linien und „Spuren des Zeichnens“ wertschätzen – und digitale Oberflächen als zu steril oder uniform kritisieren (vgl. hybride Blackboard-Forschung) (arXiv)

  • In Europa sind viele „Smart Classrooms“ mit interaktiven Whiteboards ausgestattet. Aber einige Lehrkräfte berichten, sie hätten Phasen, in denen sie wieder zur normalen Whiteboard- oder Tafelmethodik zurückkehren, weil sie das spontane Schreiben und die Unmittelbarkeit vermissen (insb. bei Diskussionen). In Belgien z. B. an der European School wird ein hybrider Ansatz gewählt, bei dem Lehrer sowohl traditionelle Schreibelemente als auch interaktive Oberflächen nutzen. (i3-technologies.com)

  • In Studien zu interaktiven Whiteboards zeigen Lehrer oft, dass der Einstieg in digitale Tafeln nicht automatisch bessere Lernergebnisse bringt – besonders, wenn die Pädagogik nicht angepasst wird oder digitale Interaktion nicht tief eingebunden ist. (ResearchGate)

  • Einige Schulen in Europa reduzieren bewusst Bildschirmnutzung bzw. Tablets in frühen Klassenstufen, um Handschrift und Schreibfertigkeit zu stärken – aus Sorge um flaches Lernen durch zu viel Digitalisierung. (Das ist eher politisch/archivarisch dokumentiert, weniger als große Stichprobestudie.)

Es gibt allerdings noch keine massenhaften Umkehrbewegungen im Bürobereich, die gut dokumentiert sind – das heißt: Du hast hier die Chance, eine Vorreiterrolle zu spielen.

Wie merken wir Texte & Ideen besser – durch Tafel?

Aus kognitiver Perspektive spricht einiges dafür, dass das, was du live an eine Tafel schreibst (mit Bewegung, räumlicher Anordnung, sichtbarer Veränderung) eher im Gedächtnis bleibt als ein schnelles Tippen auf dem Screen.

Eine Untersuchung zur Notizmethode bei Studierenden ergab: Handgeschriebene Notizen führten zu besseren Leistungen – unter anderem, weil sie oft paraphrasiert wurden und visuelle Elemente enthielten (z. B. Skizzen). (The Learning Scientists)Auch wenn digitale Stifte oder Tablets genutzt werden, zeigt sich, dass reines Touch-Tippen oft einen geringeren Effekt auf Gedächtnis und Vernetzung hat. (PMC)

Darüber hinaus: Wenn man am Board schreibt, haben alle sichtbaren Zuschauer dieselbe räumliche Referenz – das erzeugt kollektives Gedächtnis („Wir haben links oben das Konzept gezeichnet“) und erleichtert späteren Abruf.

Tipps für den Büroalltag: Tafelstrategien & Hybridnutzung

  1. Kombiniere Tafel + Projektion Nutze hybride Lösungen, um z. B. ein Bild oder eine Folie zu projizieren und daneben manuell zu kommentieren oder zu ergänzen. So bleibt das „live Denken“ sichtbar.

  2. Setze räumliche Zonen bewusst ein Teile die Tafel oder Wandfläche in Zonen (z. B. „Fragen“, „To-dos“, „Ideen“, „Fertig“). So entsteht Ordnung und Gedächtnisstruktur im Raum – alle Beteiligten verstehen das Layout ohne Worte.

  3. Nutze Farbkodierung und Symbole Farben, Pfeile, Rollenkürzel – all das unterstützt visuelles Mapping, das die Erinnerung stärkt.

  4. Erlaube „Spuren“ & Radierungen Lass bewusst alte Inhalte stehen oder zeige, wie du überarbeitest – das ist Teil des Denkprozesses und verstärkt das Erinnern.

  5. Digital nachbereiten – aber nicht ersetzen Fotografiere Tafelbilder, digitalisiere sie, verteile sie – aber lass das Primärmedium weiterhin die Tafel sein. Die physische Interaktion bleibt aktiv.

  6. Regelmäßig „analog-only“-Sitzungen einführen In Meetings oder Workshops plane Phasen, in denen ausdrücklich nur mit Stift und Tafel gearbeitet wird – kein Laptop, kein Tablet.

Fazit

Das Schreiben an Tafeln oder Whiteboards ist nicht nur nostalgischer Charme – es ist ein kognitiv intelligenter Kanal: durch körperliche Bewegung, räumliche Organisation, visuelle Rückkopplung und tiefere Verarbeitung verbindet es Denken und Gedächtnis stärker als viele digitale Interfaces.

Trotz des technologischen Zeitgeists lassen sich hybride Lösungen bauen, die das Beste aus beiden Welten verbinden: den menschlichen Prozess des Schreibens in den Raum holen und gleichzeitig digitale Flexibilität nutzen.


 
 
 

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